Die Schmuckelemente der Blütenhülle
Das Auge
Mit dem Begriff Auge (engl. eye) wird der Ring bezeichnet, der den Schlund der Blüte umgibt und farblich anders als die inneren Blütenblätter (Petalen) ist.
Das Auge war keine Eigenschaft, die den Blüten der Taglilie angeboren war. Es tritt nicht in den botanischen Formen der Blüten der Art auf, und seine allgemeine Anwesenheit bei den zeitgenössischen Sorten ist das Ergebnis züchterischer Arbeiten.
Bei den älteren Sorten, hauptsächlich den einfarbigen, war das Auge eine Seltenheit und sofern es auftrat, war seine Anwesenheit farblich gering differenziert und morphologisch unscheinbar.
Bei den angesehenen zeitgenössischen Sorten ist die Anwesenheit des Auges nicht obligatorisch. Es gibt viele Sorten, bei denen die Farbe, die Form der Blüte, der Schlund oder die Rüschen ausreichende plastische Akzente zu sein scheinen, um eine in Hinsicht auf die Attraktivität und Schönheit ihrer Blüten erfüllte Sorte zu schaffen (Abb. 46).
Abb. 46 Zeitgenössische Tagliliensorten ohne Auge
Spectral Elegance
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Jasmine Rossi
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Tropical Breeze
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Our Friend Jim Saddler
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Nichtsdestotrotz lässt sich die Anwesenheit des Auges bei den Blüten der Taglilien nicht überbewerten. Unter seiner einfachen Definition verstecken sich unerschöpfliche Möglichkeiten in Bezug auf die Größe, Formen und Farben sowie die fast ins Unendliche vervielfachte Zahl verschiedener Lösungen ihrer gegenseitigen Beziehungen mit anderen Schmuckelementen der Taglilienblüte.
Der Ring, der den Schlund der Blüte in den einfachsten Formen umgibt, ist geschlossen, rund und grenzt mit seinem inneren Rand an den Umriss des Schlunds (Abb. 47). Aus eben diesen Formen stammt die Bezeichnung „Auge” ab, welches neuerdings aufhörte, zu den „evolutionären“ Modifikationen seines Aussehens, die von der zeitgenössischen Zucht eingeführt wurde, zu passen.
Abb.47 Sorten mit der klassischen Form des Auges
Spacecoast Eye for Passion
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My Sunny Valentine
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Sp. Technical Knock Out
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Blackberries&Cream
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Bei einigen Sorten ist das Auge zentral gelegen und schließt fast vollständig den Schlund von den koloristischen Elementen aus, die den Schmuck der Blüte ausmachen (Abb. 48).
Abb. 48 Sorten mit einem Auge, das den Schlund bedeckt
Halloween Kisses
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Andy Candy
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Special Graces
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Panther Eyes
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Bei anderen Blüten entfernt sich der Ring, der den Schlund umgibt, von ihm zum Rand hin, und dann trennt es in der Form eines lockeren Kreises unterschiedlicher Breite den Schlund deutlicher von der Farbe der Petalen, indem es damit seine Größe, seine Tiefe und seine Farbe hervorhebt (Abb. 49).
Abb. 49 Die Variante eines großen Auges bei Tagliliensorten
Rock Solid
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Parrot Jungle
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Ebony Pools
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Anita's Gift
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Die größten Augen verlieren den Charakter eines Rings, der den Schlund umgibt, indem sie sich mehrfach auf die gesamte Breite der inneren Blütenblätter auf 2/3 ihrer Länge ausbreiten, sowie indem sie mehrfach auf die äußeren Blütenblätter übergehen. Sie bilden auf diese Weise originelle zweifarbige Taglilienblüten mit verschiedenartigen Farb-, Farbton- und Kontrastkombinationen (Abb. 50)
Abb. 50 Zweifarbige Tagliliensorten
Mysterious Eyes
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Black Eyed Bully
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Cajun Christmas
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Calling All Angels
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Unschätzbare Verdienste bei der Kreierung solcher Sorten hat P. Stamile, http://floydcove.com, einer der hervorragendsten zeitgenössischen Taglilienzüchter, erworben. Er hat, indem er die aus der diploiden Form gewonnene tetraploide Form der Sorte Pepermint Delight in die Zucht von tetraploiden Sorten eingeführt hat, eine zahlreiche, vielfarbige Elite von Taglilien mit einer Erweiterung der Farbe des Auges auf der großen Fläche der inneren Blütenblätter sowie mit einer Übertragung der Zeichnung der Petalen auf die äußeren Blütenblätter gewonnen hat (Abb. 51).
Abb. 51 Zweifarbige Tagliliensorten aus der Zucht des P. Stamile
Pepermint Delight
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Giant Panda
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Bart Roberts
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Christopher Mody Fall
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Ruby Storm
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Sir Francis Drake
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Walter Kennedy
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Firecracker Parade
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Indem man die Definition des Auges auf das Element bezieht, das den Schlund der Blüte umgibt, sollte man als dieses Element auch andere Formen als einen Kreis oder einem Kreis angenäherte Formen anerkennen, welche einen Rahmen des Taglilienschlunds bilden können. Auch hier hat die Natur verschiedene, gelegentlich mit Originalität überraschende Formen geschaffen. Diese haben am häufigsten die Zeichnung eines Dreiecks oder drei halbkreisförmiger Umrisse, die einen Aufsatzteil der inneren Blütenblätter umfassen (Abb. 52).
Abb. 52 Die am häufigsten vorkommenden Muster eines Auges bei Tagliliensorten
Extravagant
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Cave Creek Canyon
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Sp. Ojo Rojo
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Sulphurite Prism
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Spanish Fiesta
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Autumn Tempest
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Concert Music
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Rock Candy
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Bei einigen Sorten der letzten Jahre erschien ein Auge in Form eines dunklen Flecks, das den Schlund umgibt, mit strahlenförmig herausgehenden „Zeigern“ in Richtung des äußeren Randes der Petalen (Abb. 53).
Abb. 53 Unkonventionelle Muster eines Auges bei Tagliliensorten
Stellar Masquerade
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Extravagant
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Goldenzella
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Caesar Augustus
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Das Auge der Taglilienblüte unterscheidet sich außer mit der Größe, der Ausdehnung und verschiedenen Formen bei vielen Sorten nur mit der Art und Weise der Markierung seiner Anwesenheit im zentralen Teil der Blüte. Die Zeichnung des Auges wird nicht immer mit einer einheitlichen, homogenen Änderung des Kolorits in Bezug zur Farbe der inneren Blütenblätter definiert. Es kommt manchmal sehr subtil, zart und sogar kaum wahrnehmbar vor (Abb. 54).
Abb. 54 Varianten subtiler Muster des Auges bei Tagliliensorten
Caesar's Head
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Here and Now
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Smoochie Mama
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Pearl Necessity
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Bei manchen Sorten bildet das Auge farblich vielschichtige, zwei und sogar vielfarbene, Strukturen (Abb. 55).
Abb.55 Farblich vielschichtige Farben des Auges von Taglilien
Wheel of Time
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Throught the Looking Glass
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Diane Marie Kraml
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Blue Sky Baby
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Bei anderen nimmt es Formen fein gravierter Muster an, welche bei der allgemeinen Wahrnehmung der Attraktivität der Blüte manchmal eine deutlich dominierende Bedeutung haben (Abb. 56).
Abb.56 Gravierte Muster des Auges bei Tagliliensorten
The Butler Did It
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Ledg. Winter Memories
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Ledg. Cajun Carnaval
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Get Jiggy
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Die Besprechung des Verhältnisses zwischen dem Auge und dem Umriss der inneren Blütenblätter ist gerechtfertigt aufgrund der - ganz gewiss genetisch bedingten - Beobachtung der farblichen Konvergenz zwischen diesen Elementen. Ähnlich wie es im Fall der farblichen Zusammenhänge zwischen dem Schlund und dem Umriss der inneren Blütenblätter der Fall war, gibt es viele Sorten, bei denen die Farbe des Auges farblich mit der Farbe der Verzierung des Rands der Petalen vereint ist (Abb. 57).
Abb. 57 Tagliliensorten mit farblicher Übereinstimmung der Farbe des Auges mit dem Rand der Petalen
Special Candy
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Hemingway
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Franks Catnappin
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Time Moves On
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Barbies Favorite
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Seminole Princess
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Sunshine All Day
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Sp. Sweet Eye
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Die Zucht hat diesen Umstand zur farblichen Vergrößerung des Umrisses der inneren Blütenblätter im Verhältnis zu den Lösungen der ersten Generation genutzt. Und so formt in vielen zeitgenössischen Sorten, die mit Petalenrüschen geschmückt sind, die bedeutende Breite des farblichen Abschlusses, die farblich und dimensional mit dem vom Blütenschlund umgebenen Auge integriert ist, Formen vollkommenster plastischer und ästhetischer Lösungen (Abb. 58).
Abb. 58 Tagliliensorten mit dem Verhältnis farbliches Auge/breite Rüschen
Sens of Wonder
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Parrots of the Caribbean
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Happy Happy
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Doug Warner
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Tom Adams
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Mulberry Lane
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Aleksander Hay
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Lies and Lipstick
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Als besondere Form des Auges kann man das bei einigen zeitgenössischen Tagliliensorten anzutreffende Schmuckelement des zentralen Teils der Blütenhülle ansehen, das „Wasserzeichen” (engl. watermark) genannt wird (Abb. 59).
Dies ist ein scharf abgegrenzter Bereich entfärbter Petalen, der den Schlund in Form eines Ringes umgibt (a, c) oder aus dem Boden des Kelchs hervorkommt (b, d). Die Ebene der Entfärbung bedeckt eine feine Zeichnung von im Verhältnis zum Kolorit der Petalen helleren Strahlen, die zum Rand hin ausstrahlen. Daher auch der Name dieses Elements, „Wasserzeichen“.
Abb. 59 Tagliliensorten mit „Wasserzeichen”
All of My Love to You (a)
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Fame (б)
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Danny Steve Mitchell (в)
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Enticing Elegance (г)
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Es ist schwer zu sagen, inwieweit die Herkunft dieses, für die Blüten der Taglilie neuen dekorativen Akzentes mit dem Schlund verbunden ist, inwieweit mit dem Auge und inwieweit beide dieser Strukturen dafür verantwortlich sind, die in den züchterischen Eingriffen verwickelt sind.
Unabhängig davon stellt das Wasserzeichen ein wesentliches Element des Fortschrittes in der Taglilienzucht dar, und die Sorten, deren Blüten es schmückt, sind begehrt und werden allgemein als besonders wertvoll angesehen.
Die Ausbreitung der Zeichnung des Auges von den inneren Blütenblättern auf die äußeren Blütenblätter ist ein weiteres wesentliches Element, das sich auf den dekorativen Wert der Taglilienblüten auswirkt.
Das Verdienst der Gewinnung solcher Lösungen, wie es oben beschrieben wurde, verbindet sich mit Einführung von Tetraploiden in die Zucht, die genetisch von diploiden Formen in tetraploide verwandelt wurden.
Ein anderes, außer dem oben angegebenen Beispiel, das die Bedeutung solcher Eingriffe illustriert, ist das Schicksal der von Carpenter aus einer diploiden in die tetraploide Form umgewandelten Sorte Terry Lyninger (Abb. 60 a). Die in ihr genetisch eincodierte Eigenschaft der Gegenwart der Petalenzeichnung auf den Sepalen hat bei den Zuchtarbeiten Stamile verwendet, und eine ganze Generation attraktiver Sorten gewonnen, bei denen die kopierte Eigenschaft des Prototyps dominiert (Abb. 60 b, c, d).
Abb. 60 Nachkommensorten von Tetra Terry Lyninger
Tetra Terry Lyninger (a)
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New Paradigm (b)
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A Racing the Moon (c)
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Amber Stained Glass (d)
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Eine andere, ebenfalls erfolgreiche Art der Gewinnung von Sorten mit der Gegenwart der Zeichnung sowohl auf den Petalen als auch auf den Sepalen ist die Kreuzung von Spinnenformen, bei denen diese Eigenschaft allgemein anwesend ist, mit typischen Taglilienformen.
Die Effekte dieser beiden Richtungen in den Zuchtarbeiten erlaubten es, eine von den bisherigen Taglilien abweichende Kategorie zu schaffen, welche „butterfly“ (Schmetterling) genannt wird. Sie repräsentiert unkonventionelle Formen, die mit plastischen und farblichen Lösungen überrascht (Abb. 61).
Abb. 61 Sorten der „butterfly“-Kategorie
Kazoo
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Blue Eyed Butterfly
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Persistent Butterfly
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Orange Firecat
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Blockbuster
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Azure Butterfly
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Butterfly Ripples
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Face Dancer
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Diese Sorten, wurden aufgrund ihrer Originalität und ihres Liebreizes insoweit populär, dass sie renomierte Züchter in ihren Angeboten als besondere Pflanzenkategorie behandeln. Eine Auswahl der zuletzt eingeführten Tagliliensorten des Typs „butterfly“ kann man auf den Internetseiten von P. Stamile http://floydcove.com oder T. Petit http://www.petitdaylilies.com finden.
Der oben dargestellte Versuch der Systematisierung der Rolle des Auges bei den Schmuckelementen der Taglilienblüte erschöpft nicht alle Möglichkeiten, mit denen die Natur diese Pflanzen bedacht hat. Einige Formen verwischen mit ihrer Zeichnung und Farbgebung aufgrund der gegenseitigen Beeinflussung der Elemente des Schlundes und des Auges die Grenzen zwischen ihnen und entgleiten damit jeglichen Katalogisierungsversuchen (Abb. 62).
Abb. 62 Sorten mit vermischten Elementen von Schlund und Auge
Faulkner Sdlg
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Sp. Behavior Pattern
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Ashtons Giggles Phelphs
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Screen Pattern
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Bold Awakening
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Kaleidoscope Effect
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Bam Bam Wow
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Lone Star Sweetheart
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Diese Tendenz führt die züchterischen Errungenschaften in noch eine andere Richtung: das Mosaik des Schlunds mit dem Auge nimmt eine immer größere Fläche der Petalen ein und macht aus dieser „Eintragung” ein farblich immer sichtbareres, attraktives und verblüffendes Element. Es kommt der Eindruck auf, dass die Tätigkeit des Menschen dem Interesse der Biologie entspricht, welche dieser Tätigkeit zugeneigt ist und sich ihr mit Zustimmung ergibt. Es ist schwer zu sagen, wie viel dabei botanisches Kalkül ist und wie viel Zufall ist – die farbliche Attraktivität der Blütenhülle liegt nämlich im Interesse der Art.
Der erwähnte Umstand hat unabhängig der Gründe, die ihn bedingen, in der Taglilienzucht einen bestimmten Platz. Die Blütenhülle der Taglilie, die aus sechs Blütenblättern zusammengesetzt ist, wurde insgesamt zum Gebiet von züchterischen Modifikationen, deren Effekt an die sich verändernden Muster in einem sich drehenden Kaleidoskop erinnert.